Die rechtliche Abgrenzung zwischen einem ärztlichen Befund-, Diagnose oder Beratungsfehler ist ein Dauerbrenner des Arzthaftungsrechts. Der Bundesgerichtshof hat in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Urteil vom 11. April 2017 – VI ZR 576/15) ,welche den Bereich der Gynäkologie und Krebsvorsorge betrifft, hierzu nochmals nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit unterschieden.

Sachverhalt: Die Klägerin stellte sich bei der Beklagten, einer Fachärztin für Gynäkologie am 29. Mai 2007 zu einer gynäkologischen Krebsvorsorgeuntersuchung vor. Der zytologische Abstrich ergab einen PAP III-Befund und damit ein unklares Ergebnis, das im Rahmen der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung eine weitere Abklärung erforderlich macht. Die Beklagte übersandte der Klägerin am 7. Juni 2007 per Post ein Rezept für das Medikament Clont Vaginaltabletten No. 6 N1, das u.a. der Aufhellung des Zellbildes am Gebärmutterhalskanal dient und fügte dem Rezept ein Anschreiben an die Klägerin bei, mit dem diese über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet und zur Wiedervorstellung aufgefordert wurde.

Am 2. Januar 2018 erschien die Klägerin erstmals wieder in der Praxis der Beklagten, weil sie ein Rezept für ein Verhütungsmittel benötigte. Am 29. Januar 2008 führte die Beklagte eine weitere Krebsvorsorgeuntersuchung durch. Die zytologische Untersuchung ergab erneut einen PAP III-Befund. Die Beklagte übersandte der Klägerin daraufhin wiederum jedenfalls ein Rezept für die vorgenannten Vaginaltabletten. Am 21. April 2008 stellte sich die Klägerin erneut in der Praxis der Beklagten vor. Die Beklagte überwies die Klägerin – neben der Vornahme eines erneuten zytologischen Abstriches, der wieder einen PAP III-Befund ergab – unmittelbar in eine Dysplasiepraxis. Eine dort durchgeführte Gewebeuntersuchung ergab ein Plattenepithelkarzinom der Zervix. In der Folge wurde die Klägerin insgesamt vier Mal an der Gebärmutter operiert.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe sie im Juni 2007 weder über das Vorliegen eines PAP III-Befundes aufgeklärt noch auf die Notwendigkeit der zeitnahen weiteren Abklärung hingewiesen. Die rezeptierten Vaginaltabletten habe sie eingenommen; sie sei insoweit jedoch von einer nicht weiter zu kontrollierenden Pilzerkrankung ausgegangen und deshalb nicht erneut bei der Beklagten vorstellig geworden. Die Klägerin ist der Auffassung, bei einer früheren Abklärung hätten die Operationen mitsamt den materiellen und immateriellen Folgen, insbesondere auch den Risiken für eine etwaige spätere Schwangerschaft, vermieden werden können, und nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 30.000 €, auf Schadensersatz für Verdienstausfall und Behandlungskosten in Höhe von 42.000 €, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie auf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden in Anspruch.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Senat verneint nach den Feststellungen das Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers und hat die Sache zurückverwiesen. Wurde die Klägerin an sich zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotene Maßnahme einer weiteren Kontrolle informiert und ist die Klägerin dieser Aufforderung lediglich nicht nachgekommen, liege kein Befunderhebungsfehler vor. Es handele sich vielmehr um einen Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung, etwa wegen eines unterlassenen Hinweises auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahme.

Die Unterscheidung zwischen dem Befunderhebungsfehler und einer fehlerhaften ärztlichen Beratung wird vom BGH wesentlich nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit vorgenommen. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Fehlverhaltens liege bei diesem Sachverhalt nicht in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher, sondern in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolgs.

Der BGH stellt noch klar, dass sich die angenommene Pflichtwidrigkeit  nicht in einen – jeweils als Behandlungsfehler zu wertenden  – Fehler im Rahmen der therapeutischen Beratung einerseits und in einen Befunderhebungsfehler andererseits aufspalten lässt, sondern als einheitlicher Vorgang zu behandeln ist, weil die unterbliebene zeitnahe Befunderhebung unmittelbare Folge der angenommenen unzureichenden therapeutischen Beratung, hier des fehlenden Hinweises auf die Dringlichkeit der weiteren Abklärung des Befundes ist.

Eine Haftung der Beklagten scheidet hier letztlich aus Gründen der Beweislast aus. Eine Beweislastumkehr wäre zugunsten der Klägerin anzunehmen bei einem Befunderhebungsfehler, sofern die unterbliebene Befunderhebung ein Ergebnis erbracht hätte, auf das nicht zu reagieren grob fehlerhaft gewesen wäre.

Wenn es der Behandelnde Arzt es unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre, wird im Wege der Umkehr der Beweislast zulasten des Arztes vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war (§ 630 h Abs. 5 Satz 2 BGB).

Gemäß der gesetzlichen Regelung des § 630 c Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.

Bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung kommt es anders als beim Befunderhebungsfehler aber kaum zu einer Umkehr der Beweislast zugunsten des Patienten. Dieser muss daher, wie im vorliegenden Sachverhalt ,die Ursächlichkeit der fehlerhaften ärztlichen Beratung für seinen Gesundheitsschaden voll beweisen, um im Verfahren zum Ziel zu kommen. Dies ist kaum möglich, aber mit einem Sachverständigenbeweis im Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen.

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