Erläuterung und Kommentar: Rechtsanwalt Matthias Kümpel

Die neuen Fallzahlen zu Arzthaftung und Behandlungsfehlern für das Jahr 2018 wurden durch die Bundesärztekammer vorgestellt.

Geringer Rückgang der Fälle

Im Vergleich zum Vorjahr ist ein geringer Rückgang zu verzeichnen, was die Anzahl der gestellten Anträge 10.839 (Vorjahr 2017: 11.100)  – 2,35 %, der Anzahl der erledigten Anträge 9.901 (Vorjahr 2017: 11.449) – 13,52 % sowie die Anzahl aller Sachentscheidungen (z. B. gutachterliche Bescheide) 5.972 (Vorjahr 2017: 7.307) – 18,27 % betrifft. Woraus diese leichte Veränderung resultiert, lässt sich nicht genau sagen.

Es ist aber nach dem Eindruck des Verfassers auch so, dass ohnehin nur eine geringe Anzahl der Fälle tatsächlich zu einem Schlichtungsverfahren gelangt und eine hohe Dunkelziffer an medizinischen Behandlungsfehlern anzunehmen ist, die niemals bei den Schlichtungsstellen noch bei den Krankenkassen oder Gerichten auftauchen.

Informationsdefizit der Patienten als medizinischen Laien

Die Patienten wissen als medizinische Laien, trotz einer wegen des Internets deutlich besseren Informationslage, häufig schlicht zu wenig über Indikationsstellung, Befunderhebung, Diagnostik, Aufklärung und (operative) Behandlung sowie Nachsorge.  Der hierbei jeweils zu beachtenden Facharztstandard ist dem Patienten oft unbekannt und unverständlich, so dass Fehler unerkannt bleiben und vom Patienten als schicksalhaft und krankheitsbedingt betrachtet werden, obwohl vielleicht tatsächlich bei genauerer medizinischer und medizinrechtlicher Überprüfung ein relevanter Fehler passiert ist.

Diese strukturelle Unterlegenheit der Patienten- gegenüber der Ärzteseite gilt es so weit als möglich anzugleichen. Das Patientenrechtegesetz welches bereits im Februar 2013 in Kraft trat, hat die bestehende Rechtsprechung in Gesetzesform gebracht, aber hat darüber hinaus nicht viel am grundsätzlichen System des Arzthaftungsrechts insbesondere im Hinblick auf die komplizierten Fragen der Beweislast und der häufig schwammigen Differenzierung zwischen „einfachem und groben Behandlungsfehlers“ geändert. Wünschenswert wäre auch der erleichterte Zugang zu qualifiziertem medizinischen Sachverstand und Gutachtern, welcher dem Patienten, aus wirtschaftlichen Gründen oftmals verbaut ist.

Dokumentation und Informationspflichten

Bedeutsam sind Informationspflichten und eine sichere und möglichst irreversible und manipulationsfreie EDV-gestützte Dokumentation aller ärztlichen Schritte am Patienten besonders auch im ambulanten Bereich. Hierdurch schafft man Transparenz, wodurch das Vertrauen in die Ärzteschaft und die Kliniken gestärkt würde.  Manches ist hier schon gesetzlich geregelt oder auf den Weg gebracht.

Doch wie soll der Arzt den Anforderungen der umfassenden Dokumentation nachkommen, wenn neben den Behandlungsabläufen kaum Zeit für ein vertiefendes Gespräch mit den häufig multimorbiden Patienten mehr bleibt. Die im Medizinsektor tätigen Ärzte und Chefärzte sollen Umsatz für die Kliniken generieren und werden vom Management betriebswirtschaftlich danach beurteilt und bewertet, ob dies ausreichend gelingt.

Wünschenswert: Förderung der sprechenden Medizin

Die gute und auch menschlich einfühlsame Arbeit des Arztes aber auch des Pflegepersonals, im Sinne der „sprechenden Medizin“ am Patienten, ist im stationären Bereich außerordentlich wichtig, bringt aber im gegenwärtigen System der Fallpauschalen ökonomisch kaum mehr Umsatz für die Kliniken. Folglich geschieht, wenn überhaupt etwas, nur das Nötigste und man beschränkt sich nur noch auf die praktische Durchführung der Behandlung.

Vorrang wirtschaftlicher Ziele vor dem Wohl der Patienten

Die Privatisierung staatlicher Kliniken ist politisch betrachtet, ein alsbald zu revidierender Irrweg. Kliniken und die tätigen Leistungserbringer haben die Kernaufgabe für die Gesundheit der Bürger zu sorgen und wesentlich das Wohl der Patienten und nicht Umsatz und Gewinn im Auge zu haben.Die ökonomische Seite der Medaille ist sicher wichtig und relevant, aber im Hinblick auf des eigentliche Primärziel die Patienten angemessen nach Facharztstandard zu behandeln und zu heilen, eben erst in zweiter Linie.

Gegenwärtig ist die Situation meiner Meinung nach umgekehrt. Politisch gewollte, ökonomische Vorgaben haben das Gesundheitswesen fest im Würgegriff. Hier darf sich der Staat im Bereich der Daseinsvorsorge nicht weiter zurückziehen und durch immer mehr Privatisierung bzw. durch Schließung von „unwirtschaftlichen“ Kliniken die Medizin in diesem Land immer mehr dem freien Spiel des Marktes überlassen. Dies hätte fatale Folgen für uns alle.

Letztlich ist als wesentliche Ursache für Fehler und Missstände im stationären medizinischen Bereich der massive wirtschaftliche Druck der auf das Gesundheitssystem einwirkt zu benennen. Dieser führt zur systematischen und letztlich politisch gewollten Überlastung des Kliniksektors und der dort ärztlich und pflegerisch tätigen Menschen.

Doch nun kommen wir wieder zu den Zahlen der Statistik:

Die 10 häufigsten Diagnosen im Rahmen von ärztlichen Behandlungsfehlern oder Risikoaufklärungsmängeln mit denen die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im Jahr 2018 befasst waren lauten:

Degenerative Gelenkerkrankungen des Kniegelenks (Gonarthrose), Arthrose des Hüftgelenks (Koxarthrose), Oberschenkelbruch (Femurfraktur), Schaden der Bandscheibe, Lendenwirbelsäule Unterschenkel- u. Sprunggelenksbruch, Knie (degenerativ) Unterarmbruch, Schleimbeutelentzündung der Schulter (Bursitis), Knie Binnenschaden (traumatisch), Schulter- und Oberarmbruch.

Die Vorwürfe der Patienten betrafen wesentlich die Durchführung der operativen Therapie, die Diagnostik bei bildgebenden Verfahren (Röntgen, MRT, CT u.a.), Anamnese/ Untersuchung, Indikation, Aufklärung über das Risiko, Maßnahmen der postoperativen Therapie, Behandlung durch Arzneimittel, Labordiagnostik/ Zusatzuntersuchungen, konservative Therapie und Infektion.

Der Bereich der Behandlung in Krankenhäusern und Kliniken ist wie immer deutlich fehleranfälliger mit 5.259 Fällen (75,91%) im Vergleich zu den niedergelassenen Ärzten mit 1.669 Fällen (24,09%), bei einer Gesamtzahl der Antragsgegner bei Sachentscheidungen von 6.928.

Insgesamt waren die Schlichtungsstellen mit 5.972 Sachentscheidungen betraut, bei 4.114 (68,88 %) der Fälle wurde ein Behandlungsfehler / Risikoaufklärungsmangel bereits dem Grunde nach verneint.

In nur 41 Fällen (0,687%) wurde ausschließlich ein Risikoaufklärungsmangel bejaht.  In 1.817 Fällen (30,43 %) wurde ein Behandlungsfehler bejaht. In 359 Fällen (6,01%) wurde ein Behandlungsfehler oder ein Risikoaufklärungsmangel bejaht aber letztlich die Kausalität (Ursächlichkeit des Fehlers für den Gesundheitsschaden) von den Gutachter- und Schlichtungsstellen verneint.

Nur bei ca. 25% der Fälle Arzthaftung dem Grunde nach bejaht

Schließlich sind lediglich 1.499 Fälle zu verzeichnen gewesen, was einer Quote von 25,10 % aller Fälle entspricht, bei denen die Gutachter- und Schlichtungsstellen einen Behandlungsfehler oder  Risikoaufklärungsmangel und die Ursächlichkeit des Fehlers für den Gesundheitsschaden (Kausalität) bejaht haben.

Also bei lediglich bei etwa ¼ aller bundesweiten Sachentscheidungen der Schlichtungsstellen ist ein Anspruch des Patienten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld dem Grunde nach bejaht worden. Die Anzahl der Sachverhalte, bei denen tatsächlich Zahlungen geleistet wurden, dürfte noch geringer sein, da ein für den Patienten positives Schlichtungsgutachten nicht notwendig bedeutet, dass Klinik oder Arzt bzw. die Haftpflichtversicherung auch Schmerzensgeld oder Schadenersatz zahlen muss.

Oftmals wird jedoch die Bereitschaft bestehen, einen Vergleich zu schließen, wobei es dann auf gute und professionelle Verhandlungsführung auf Patientenseite ankommt, um unter Berücksichtigung aller Schadenspositionen (Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Mehraufwendungen, Rentenzahlung, Haushaltsführungsschaden, etc) ein möglichst gutes finanzielles Ergebnis zu erreichen.

In manchen Fällen ist also trotz positivem Schlichtungsgutachten noch ein Zivilprozess vor den ordentlichen Gerichten durchzuführen, wenn die Behandlerseite, meist der Haftpflichtversicherer von Klinik oder Arzt das Gutachten nicht akzeptiert oder die konkrete Höhe der Ansprüche in Euro noch streitig ist.

Man kann es also trotzdem darauf ankommen lassen und abwarten ob der geschädigte Patient tatsächlich willens und in der Lage ist, einen Zivilprozess zu führen. Wenn der Patient dann keine Klage erhebt, geht er in diesen Fällen trotz positivem Schiedsgutachten leer aus.

Lohnt es sich für den Patienten im konkreten Fall einen Antrag zu stellen?

Ob es im Einzelfall lohnenswert erscheint, die Gutachter- und Schlichtungsstellen mit dem eigenen Fall zu betrauen, muss angesichts der doch sehr geringen Erfolgsquoten sehr genau abgewogen und geprüft werden. Die Gutachterverfahren der Schlichtungsstellen sind bei Einverständnis der Gegenseite zwar kostenlos für den Patienten durchführbar, aber leider sind diese auch auch in ca. 75 % der Fälle erfolglos. Existiert erst einmal ein für den Patienten negatives Schlichtungsgutachten, ist ein gerichtliches Vorgehen gegen die Klinik oder den Arzt im Wege des Zivilprozesses weiterhin möglich, aber durchaus erschwert.

Im Zweifel Beratung in Anspruch nehmen

Diese Frage lässt sich nur individuell beantworten. Bevor man als Patient einen Antrag bei einer der Gutachter- und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern stellt, empfehlen wir daher unbedingt eine persönliche Beratung durch einen im Medizin- und Arzthaftungsrecht spezialisierten und erfahrenen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen, auch im Hinblick auf gegebenenfalls bessere Alternativen.

In Fällen des Arzthaftungsrechts ist es von besonderem Vorteil, wenn eine Rechtschutzversicherung abgeschlossen wurde. Diese trägt oftmals die Kosten der Vertretung sowie sämtliche im Prozessfall entstehende Gerichts- und Gutachterkosten für gerichtlich bestellte Sachverständige.

Quelle: Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2018, veröffentlicht am 04.04.2019

Wünschen Sie eine anwaltliche Beratung zum Arzthaftungsrecht?
Rechtsanwalt Matthias Kümpel berät Sie als Spezialist für Arzthaftungsrecht gern und betreibt die Durchsetzung Ihrer Ansprüche.

Telefon: 06021/4229290 oder Kontaktseite.
Sie erhalten schnell eine Antwort. Wir freuen uns Ihre Fragen.

Dem klagenden Patienten wurde im Krankenhaus der Beklagten durch den ebenfalls beklagten Arzt am 11.1.2010 eine Hüfttotalendoprothese am linken Bein implantiert.In der Folge wurde er aufgrund stark zunehmender Schmerzen in der linken Hüfte am 3.3.2010 wieder stationär aufgenommen. Die Entzündungswerte (Leukozyten und der CRP-Wert) waren nicht erhöht. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Beckens, ergab keinen Befund.

Der beklagte Arzt führte einen Revisionseingriff am 23.3.2010 durch. In dem Operationsbericht, der als Diagnose eine (a)septische Prothesenlockerung anführt, heißt es, dass zunächst lediglich ein Hüftkopfkeramikwechsel vorgesehen gewesen sei, sich jedoch bei einem hierzu erfolgten leichten Schlag die Prothese vollständig aus ihrem Zementmantel gelockert habe. Darauf nahm der Beklagte zu 2) eine Prothesenexplantation vor und schuf eine sog. Girdlestone-Situation (Entfernung des Oberschenkelkopfs ohne Ersatz). Weder wurde ein Spacer eingesetzt, noch eine neue Prothese.

Erst in einer weiteren Operation am 15.6.2010 wurde links eine Hüfttotalendoprothese mit einem Schaft vom Typ Hyperion ein, der aus Schaft, Hals und Kopf bestand eingesetzt. Hierzu heißt es im Operationsbericht: “Einbringen des 160er Schaftes, 14 mm Durchmesser mit 15er-Hals gekoppelt”.

Am 12.4.2011 suchte der klagende Patient bei andauernden Hüftgelenksbeschwerden die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums auf. Bei der dort am 1.6.2011 durchgeführten nochmaligen Revisionsoperation zeigte sich, dass Schaft und Halsteil nicht fest miteinander verbunden waren. Der Operateur wechselte das Halsteil und den Kopf.

Der Kläger hat die Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 60.000 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Er hat ihnen – teils gestützt auf zwei Bescheide der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler und drei Gutachten unter anderem vorgeworfen, dass der Beklagte Arzt bei dem Eingriff vom 15.6.2011 die Schaftteile der Prothese nicht ordnungsgemäß miteinander verspannt habe. Er leide unter Schmerzen im linken Hüftgelenk bis in das Bein hinunter in Ruhe und bei Belastung, einer eingeschränkten Beweglichkeit des linken Hüftgelenks und einer Atrophie der Muskulatur. Er sei auf Gehhilfen und außerhalb des Hauses auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen.

Das Oberlandesgericht Köln kommt nach Anhörung mehrer Sachverständiger zum Ergebnis, dass bei der Operation vom 15.6.2010 der Schaft und das Halsteil der eingesetzten Prothese vom Typ Hyperion fehlerhaft miteinander verspannt worden seien. Anders als durch einen Fehler beim Verspannvorgang sei die bei der Revisionsoperation vom 1.6.2011 festgestellte Tatsache, dass der Schaft und das Halsteil nicht fest miteinander verbunden waren, nicht zu erklären.

Andere Ursachen wie ein Materialfehler oder ein Trauma (z.B. durch einen Sturz des Klägers) seien nicht vorgetragen noch ersichtlich, so dass es für die Lockerung der Prothesen keine andere logische Erklärung gebe als eine Unzulänglichkeit bei der Einbringung der Prothese. Die Wahrscheinlichkeit eines Materialfehlers sei als so gering anzusehen, dass diese nicht in Betracht zu ziehen sei.

Die fehlerhafte Verspannung von Schaft und Halsteil habe einen gesundheitlichen Schaden des Klägers verursacht. Die unmittelbare Folge des Behandlungsfehlers und der primäre Schaden lagen darin, dass die Prothese locker war oder sich bis zur Revisionsoperation vom 1.6.2011 sukzessive lockerte. Dies bewirkte während eines Zeitraums von etwa einem Jahr, eine Fehlfunktion der Hüftprothese und eine Zunahme der Beschwerdesymptomatik, die sich in zunehmenden Schmerzen und einer Reduktion der Gehfähigkeit äußerte.

Der Kläger habe ferner, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts (§ 287 ZPO = Beweiserleicherung für den Patienten) bewiesen, dass die heute bestehenden Folgen und dauerhaften Beeinträchtigungen auf dem Behandlungsfehler und dem Primärschaden beruhen.

Der Sachverständige habe festgestellt, dass der Patient, wie von ihm vorgetragen, unter Schmerzen im linken Hüftgelenk und einer eingeschränkten Beweglichkeit des linken Hüftgelenks leide sowie bei kurzen Strecken auf Gehhilfen oder eine Hilfsperson und im Übrigen auf den Rollstuhl angewiesen sei.Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass diese Beschwerdebild heute nicht vorliegen würde und beim Kläger eine Hüftfunktion bestünde wie gewöhnlich nach der Implantation einer Prothese, wenn den Beklagten der festgestellte Fehler nicht unterlaufen und die Prothese im Zeitraum bis zum 1.6.2011 nicht gelockert gewesen wäre.

In rechtlicher Hinsicht stellen sich die Beeinträchtigungen, die nach der erfolgreichen Revisionsoperation vom 15.6.2011 andauern, als mittelbare Folge der fehlerhaften Verspannung der Prothese dar. In dem Zeitraum, in dem die Prothesenlockerung bestand, sei keine ausreichende Mobilisation und Rehabilitation des Klägers möglich gewesen, was zur Verfestigung der Funktionseinschränkung und des Beschwerdebildes führte.

Der Kläger behauptete auch, dass die am 11.1.2010 durchgeführte Primäroperation der Prothese bereits nicht indiziert gewesen sei bzw. nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt war, dass dabei die erforderlichen Hygienemaßnahmen nicht eingehalten worden seien und die ärztliche Aufklärung insgesamt nicht oder unzureichend erfolgt sei. Dem folgte das Gericht jedoch nicht.

Am 23.3.2010 sei nicht nur ein einzeitiges Vorgehen, sondern auch ein zweizeitiges Vorgehen ohne den Einsatz eines Spacers unter Schaffung einer sog. Girdlestone-Situation indiziert gewesen. Es sei davon auszugehen, dass ein zweizeitiges Vorgehen trotz der damit verbundenen Nachteile (vorübergehende Beinverkürzung, Instabilität in der Hüfte, Immobilität, weitere Operation) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer Infektausheilung führt. Ein Spacer hätte die Hüftpfanne, für die im Operationsbericht bereits ein Defekt beschrieben sei, weiter hätte schädigen können.Es bestehe ein Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch aufgrund einer fehlerhaften Verspannung von Schaft und Halsteil der eingesetzten Prothese.

Zum Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen, die sich aus den fehlerbedingten Schmerzen und der eingeschränkten Beweglichkeit des linken Hüftgelenks sowie der eingeschränkten Gehfähigkeit ergeben, hielt der Senat des Oberlandesgericht ein Schmerzensgeld von 50.000 EUR für erforderlich. Dabei hat er das hohe Ausmaß der Beschwerden und den langen Zeitraum berücksichtigt, in dem die Schmerzen und die erhebliche Einschränkung des Gehvermögens bestanden und voraussichtlich noch bestehen werden (Urteil des OLG Köln 5. Zivilsenat, 23.05.2018, Az.: 5 U 148/16).

Wünschen Sie eine Beratung zum Arzthaftungsrecht? Sind Sie von einem ärztlichen Kunstfehler oder Behandlungsfehler betroffen? Rechtsanwalt Matthias Kümpel berät Sie als Spezialist für Medizinrecht qualifiziert und setzt Ihre berechtigten Ansprüche durch.

Das Landgericht Münster hatte einen interessanten Fall aus dem Bereich der Arzthaftung zu entscheiden (LG Münster 01.03.2018, Az.:111 O 25/14). Ein Klinikträger wurde verurteilt ein beachtliches Schmerzensgeld von 250.000,- Euro nebst Zinsen zu zahlen sowie für sämtliche resultierenden materiellen Schäden sowie künftige immaterielle Schäden aufgrund der fehlerhaften Behandlung und unzureichenden Risikoaufklärung durch einen externen Belegarzt […]

Die rechtliche Abgrenzung zwischen einem ärztlichen Befund-, Diagnose oder Beratungsfehler ist ein Dauerbrenner des Arzthaftungsrechts. Der Bundesgerichtshof hat in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Urteil vom 11. April 2017 – VI ZR 576/15) ,welche den Bereich der Gynäkologie und Krebsvorsorge betrifft, hierzu nochmals nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit unterschieden.

Sachverhalt: Die Klägerin stellte sich bei der Beklagten, einer Fachärztin für Gynäkologie am 29. Mai 2007 zu einer gynäkologischen Krebsvorsorgeuntersuchung vor. Der zytologische Abstrich ergab einen PAP III-Befund und damit ein unklares Ergebnis, das im Rahmen der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung eine weitere Abklärung erforderlich macht. Die Beklagte übersandte der Klägerin am 7. Juni 2007 per Post ein Rezept für das Medikament Clont Vaginaltabletten No. 6 N1, das u.a. der Aufhellung des Zellbildes am Gebärmutterhalskanal dient und fügte dem Rezept ein Anschreiben an die Klägerin bei, mit dem diese über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet und zur Wiedervorstellung aufgefordert wurde.

Am 2. Januar 2018 erschien die Klägerin erstmals wieder in der Praxis der Beklagten, weil sie ein Rezept für ein Verhütungsmittel benötigte. Am 29. Januar 2008 führte die Beklagte eine weitere Krebsvorsorgeuntersuchung durch. Die zytologische Untersuchung ergab erneut einen PAP III-Befund. Die Beklagte übersandte der Klägerin daraufhin wiederum jedenfalls ein Rezept für die vorgenannten Vaginaltabletten. Am 21. April 2008 stellte sich die Klägerin erneut in der Praxis der Beklagten vor. Die Beklagte überwies die Klägerin – neben der Vornahme eines erneuten zytologischen Abstriches, der wieder einen PAP III-Befund ergab – unmittelbar in eine Dysplasiepraxis. Eine dort durchgeführte Gewebeuntersuchung ergab ein Plattenepithelkarzinom der Zervix. In der Folge wurde die Klägerin insgesamt vier Mal an der Gebärmutter operiert.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe sie im Juni 2007 weder über das Vorliegen eines PAP III-Befundes aufgeklärt noch auf die Notwendigkeit der zeitnahen weiteren Abklärung hingewiesen. Die rezeptierten Vaginaltabletten habe sie eingenommen; sie sei insoweit jedoch von einer nicht weiter zu kontrollierenden Pilzerkrankung ausgegangen und deshalb nicht erneut bei der Beklagten vorstellig geworden. Die Klägerin ist der Auffassung, bei einer früheren Abklärung hätten die Operationen mitsamt den materiellen und immateriellen Folgen, insbesondere auch den Risiken für eine etwaige spätere Schwangerschaft, vermieden werden können, und nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 30.000 €, auf Schadensersatz für Verdienstausfall und Behandlungskosten in Höhe von 42.000 €, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie auf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden in Anspruch.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Senat verneint nach den Feststellungen das Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers und hat die Sache zurückverwiesen. Wurde die Klägerin an sich zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotene Maßnahme einer weiteren Kontrolle informiert und ist die Klägerin dieser Aufforderung lediglich nicht nachgekommen, liege kein Befunderhebungsfehler vor. Es handele sich vielmehr um einen Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung, etwa wegen eines unterlassenen Hinweises auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahme.

Die Unterscheidung zwischen dem Befunderhebungsfehler und einer fehlerhaften ärztlichen Beratung wird vom BGH wesentlich nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit vorgenommen. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Fehlverhaltens liege bei diesem Sachverhalt nicht in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher, sondern in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolgs.

Der BGH stellt noch klar, dass sich die angenommene Pflichtwidrigkeit  nicht in einen – jeweils als Behandlungsfehler zu wertenden  – Fehler im Rahmen der therapeutischen Beratung einerseits und in einen Befunderhebungsfehler andererseits aufspalten lässt, sondern als einheitlicher Vorgang zu behandeln ist, weil die unterbliebene zeitnahe Befunderhebung unmittelbare Folge der angenommenen unzureichenden therapeutischen Beratung, hier des fehlenden Hinweises auf die Dringlichkeit der weiteren Abklärung des Befundes ist.

Eine Haftung der Beklagten scheidet hier letztlich aus Gründen der Beweislast aus. Eine Beweislastumkehr wäre zugunsten der Klägerin anzunehmen bei einem Befunderhebungsfehler, sofern die unterbliebene Befunderhebung ein Ergebnis erbracht hätte, auf das nicht zu reagieren grob fehlerhaft gewesen wäre.

Wenn es der Behandelnde Arzt es unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre, wird im Wege der Umkehr der Beweislast zulasten des Arztes vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war (§ 630 h Abs. 5 Satz 2 BGB).

Gemäß der gesetzlichen Regelung des § 630 c Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.

Bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung kommt es anders als beim Befunderhebungsfehler aber kaum zu einer Umkehr der Beweislast zugunsten des Patienten. Dieser muss daher, wie im vorliegenden Sachverhalt ,die Ursächlichkeit der fehlerhaften ärztlichen Beratung für seinen Gesundheitsschaden voll beweisen, um im Verfahren zum Ziel zu kommen. Dies ist kaum möglich, aber mit einem Sachverständigenbeweis im Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen.

Sie wünschen eine qualifizierte Beratung im Arzthaftungsrecht?
Bitte rufen Sie uns an oder senden uns eine Nachricht. Wir melden uns zeitnah bei Ihnen.

Rechtsanwalt Matthias Kümpel, Erthalstraße 17, 63739 Aschaffenburg
Tel. 06021/4229290, E-Mail: kanzlei@recht-ab.de Web: www.recht-ab.de

 

BGH, Urteil vom 30. Mai 2017 – VI ZR 203/16 – Arzthaftung Zahnarzt Alternativmedizin

Sachverhalt: Die klagende Patientin macht gegen den beklagten Zahnarzt Schadensersatzansprüche aus fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung geltend. Der Beklagte wirbt in Vorträgen mit Methoden der Alternativmedizin in Form der Zahnbehandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer, die er als Ursache von allgemeinen körperlichen Beschwerden sieht. So führt er bei der Klägerin eine von ihm so bezeichnete “Herd- und Störfeldtestung” durch. Er gelangte dabei zu der Diagnose “mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften in den rechten Schläfen- und Hinterkopfbereich und bis in den Unterleib”. Darüber hinaus diagnostizierte er ein “Kieferknochenendystrophie-​Syndrom” und einen “stillen Gewebsuntergang im Knochenmark”.

Als Therapie empfahl er der Klägerin die operative Entfernung sämtlicher Backenzähne und die gründliche Ausfräsung des gesamten Kieferknochens. Daraufhin entfernte der Beklagte bei der Klägerin operativ unter Lokalanästhesie die Zähne Nr. 14, 15, 16 und 17 im rechten Oberkiefer und fräste den Kieferknochen in diesem Bereich “gründlich” aus.

Der Beklagte führte weder die Einsetzung, Anpassung des Zahnersatzes durch, noch erläuterte er den Umgang hiermit. Als die Klägerin einen anderen Zahnarzt aufsuchte, äußerte dieser Bedenken hinsichtlich der erfolgten Behandlung. Die Klägerin verlangt vom Beklagten Zahnarzt die Rückzahlung des geleisteten Honorars, materiellen Schadensersatz der Folgebehandlungskosten, Schmerzensgeld sowie die Feststellung seiner weitergehenden Einstandspflicht. Der Bundesgerichtshof hat die Sache zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht war der Auffassung, dass der Beklagte für die Folgen der bei dieser am 21. September 2006 durchgeführten operativen Behandlung haften würde. Zwar habe die Klägerin ausweislich der mit dem Beklagten abgeschlossenen Vereinbarung die zahnärztlichen Leistungen zur operativen Herdsanierung ausdrücklich gewünscht und eine “Einwilligung zur operativen Herdsanierung” unterzeichnet und ihr Einverständnis mit einer nicht nach den Regeln der Schulmedizin, sondern nach einer “ganzheitlichen”, d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Außenseitermethode erklärt. Gleichwohl seien dem Beklagten jedoch Behandlungsfehler zur Last zu legen. Er habe ohne hinreichenden Grund die notwendige interdisziplinäre Befunderhebung sowie eine interdisziplinäre Behandlung der chronischen Schmerzen der Klägerin unterlassen.

Aus den Gründen: Die Anwendung von nicht allgemein anerkannten Therapieformen ist rechtlich grundsätzlich erlaubt. Entscheidend ist, dass jeder Patient, bei dem eine von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannte Methode angewendet wird, innerhalb der durch die guten Sitten gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden kann, welchen Behandlungen er sich unterziehen will. Schließt aber das Selbstbestimmungsrecht eines um die Tragweite seiner Entscheidung wissenden Patienten die Befugnis ein, jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode zu wählen, so kann aus dem Umstand, dass der Heilbehandler den Bereich der Schulmedizin verlassen hat, nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.

Die Entscheidung des Arztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Therapieform setzt allerdings eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus. Bei dieser Abwägung dürfen auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren werden. Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode.

Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts hat die radikale Behandlungsmaßnahme des Beklagten bei der Klägerin zu schwerwiegenden, irreversiblen Gesundheitsschäden geführt (Verlust bzw. Teilverlust der Kau-​, Gebiss- und Implantatfähigkeit).
Die verantwortliche medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen wurde auf der Grundlage des Gutachtens eines Sachverständigen beurteilt hat, der nicht über die erforderliche umfassende Sachkunde verfügt. Es hätte nämlich, so der Bundesgerichtshof eine auch mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis vertrauter Sachverständiger beauftragt werden müssen. Hierfür bestand umso mehr Veranlassung, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige offengelegt hat, sich selbst nicht ausführlich mit der Alternativmedizin befasst zu haben, und zwei ihm geeignet erscheinende Sachverständige benannt hat.

Zusammenfassung:  Die Entscheidung des Zahnarztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode (hier: ganzheitliche Zahnmedizin) setzt eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus. Bei dieser Abwägung dürfen auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren. Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode. Bei Sachverhalten mit alternativmedizinischem Bezug ist ein Sachverständiger zu beauftragen, der mit der besonderen nicht der Schulmedizin folgenden alternativen Behandlungsmethode praktisch und theoretisch vertraut ist.

 

Die klagende Patientin nahm die Beklagte wegen Arzthaftung aufgrund einer infolge einer fehlerhaften und nicht notwendigen Bandscheibenoperation  in Anspruch. Folge der Fehlbehandlung war eine Querschnittslähmung unterhalb des dritten Halswirbels.  auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht für weitere materielle Schäden in Anspruch.

Die Beklagte diagnostizierte nach entsprechender radiologischer Untersuchung bei der Klägerin unter anderem eine schmerzhafte HWS-Erkrankung mit Verengung des Wirbelkanals (radikulär pseudoradikuläres zervikales Schmerzsyndrom bei Osteochondrosen und Spondylarthrosen C4 bis 7 und Instabilität C3/4 mit konsekutiver Spinalkanalstenose, ein radikulär pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bei produktiven Osteochondrosen und Spondylarthrosen L4 bis S1, eine ACG-Arthrose links sowie den Verdacht auf ein Thoracic-Outlet-Syndrom rechts).

Die Beklagte ebenso wie der die Klägerin behandelnde Orthopäde, dem der MRT-Befund vorlag, rieten dieser zu einer operativen Behandlung. Die Klägerin begab sich in die stationäre Behandlung der Beklagten. Es wurde zuvor extern ein MRT der Halswirbelsäule gefertigt. Ohne Bezugnahme auf dieses MRT empfahl die Beklagte den chirurgischen Eingriff.

Es erfolgte nach einem präoperativen Gespräch zum Ablauf des geplanten Eingriffs sodann operativ die Implantation einer Bandscheibenprothese C3/4 sowie eine ventrale Fusion C4-7 mit Cage und Verplattung. Postoperativ wurde nach Verlegung auf die Intensivstation eine zunehmende Schwäche aller vier Extremitäten, Nachblutung und eine Rückenmarkskompression festgestellt. Die Klägerin konnte nur noch den rechten Arm und die Zehen bewegen. Insbesondere hatte sie kein Empfindungsvermögen mehr. Es erfolgten seitens der Beklagten dann zwei Revisionsoperationen bis diese schließlich zur weiteren Behandlung in das Querschnittszentrum eines berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums verlegt wurde. Die Klägerin leidet seit der Operation unter einer kompletten Querschnittslähmung und ist Rollstuhlpflichtig. Die Klägerin verlangt wegen Arzthaftung Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Es habe nach Angaben des Sachverständigen eine unvollständige Befunderhebung stattgefunden hat da eine zwingend erforderliche präoperative stationäre neurologische Untersuchung unterblieben ist. Auch war die Operation war weder dem Grunde, noch der Form nach medizinisch indiziert. Es ließ sich gerade kein Rückschluss vom Auftreten neurologischer Ausfälle auf eine absolute OP-Indikation ziehen. Die Ärzte der Beklagten haben die zur differentialdiagnostischen Abklärung erforderliche Bildgebung in Form einer MRT-Untersuchung fehlerhaft unterlassen.

Es war ausweislich der Unterlagen der Beklagten ein neuer neurologischer Befund bei der Klägerin aufgetreten, mit Sensibilitätsstörungen im rechten Unterarm und der rechten Hand und einer Kraftgradminderung bzgl. des Trizeps und des Bizeps. Diesem Befund hätte man nach Angabe des Sachverständigen zwingend weiter durch Erstellung eines neuen MRT und Veranlassung einer erneuten neurologischen Untersuchung nachgehen müssen. Dabei ist insbesondere die differentialdiagnostische neurologische Untersuchung zum Ausschluss anderer neurologischer Erkrankungen erforderlich gewesen. Beide Untersuchungen waren danach für die Stellung der Operationsindikation zwingend erforderlich. Ihre Unterlassung begründet die Arzthaftung.

Bei zervikalen Bandscheibenvorfällen müssen operative Maßnahmen individuell abgewogen werden, da in vielen Fällen eine konservative Behandlung gleichfalls erfolgversprechend ist. Es bestand daher allenfalls eine relative aber keine absolute OP-Indikation. Auch die Operationsmethode war kontraindiziert. Der Sachverständige hat klargestellt, dass die von den Ärzten der Beklagten angenommene zervikale Myelopathie, die einer operativen Behandlung bedurft hätte, gerade nicht nachgewiesen war. Aus den vorliegenden Befunden waren keine sicheren Anzeichen für eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie) zu entnehmen.

Das Gericht geht von einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung sowie einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität für die Primärschädigung aus, die von der Beklagten nicht entkräftet worden ist. Im Grundsatz ist von einem Anspruch aus Arzthaftung auszugehen. Durch die Operation ist es zu einer kompletten Querschnittslähmung der Klägerin unterhalb C3/4 gekommen. Präoperativ lagen Fehler im Bereich der Befunderhebung, Diagnostik und Operationsplanung vor. Insgesamt erfolgte eine grob fehlerhafte ärztliche Behandlung. Es wurde ohne hinreichend gesicherte Diagnose operiert und es war daher fehlerhaft, der Klägerin zu diesem Eingriff zu raten. Es hätte danach weder zu diesem Zeitpunkt noch in dieser Form operiert werden dürfen, anderweitige (konservative) therapeutische Möglichkeiten wurden vollkommen außer Acht gelassen.

Letztlich wurde der Klägerin aufgrund der schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen ein Schmerzensgeld von 400.000,00 € aus Arzthaftung zugesprochen. Angesichts zu erwartender weitergehender vor allem materieller Folgen war auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.11.2016

Matthias Kümpel
Rechtsanwalt

Einem Kind wurde ein Schmerzensgeldanspruch i. H. von 250.000 Euro zugesprochen, nachdem es nach einer – aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler – verspätet durchgeführten Sectio mit einem Geburtsschaden in Form eines schwerem hypoxischem Hirnschäden geboren wurde und deswegen dauerhaft unter schweren Entwicklungsstörungen zu leiden hat. Es liegt ein Fall des Geburtsschadens vor.

Der heute neun Jahre alte Kläger wurde im Oktober 2007 im beklagten Krankenhaus unter geburtshilflicher Betreuung zweier mitverklagter Ärzte geboren. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt im Kreißsaal, in dem die Kindesmutter und das ungeborene Kind u. a. zeitweise durch eine Cardiotocographie (CTG) überwacht wurden, entschlossen sich die Ärzte zu einer Sectio. Der Kläger wurde mit einer Nabelschnurumschlingung entbunden und zeigte in seiner weiteren Entwicklung einen schweren Geburtsschaden. Er leidet heute an einer allgemeinen Entwicklungsstörung, die seinen Intellekt, seine Sprache und seine motorischen Fähigkeiten dauerhaft einschränkt, außerdem an einer Epilepsie. Vertreten durch seine Eltern nimmt der Kläger die Beklagten wegen des Geburtsschadens auf Schadensersatz in Anspruch, insbesondere auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Das LG Paderborn hatte in ersten Instanz dem Kläger ein Schmerzensgeld i. H. von 175.000 Euro zugesprochen.

Entscheidung des OLG

Der 26. Zivilsenat des OLG Hamm hat das Schmerzensgeld auf 250.000 Euro festgesetzt. Nach Auffassung des OLG sind den beklagten Ärzten bei der geburtshilflichen Betreuung der Mutter des Klägers mehrere Behandlungsfehler unterlaufen. Sie hätten es behandlungsfehlerhaft unterlassen, das Geburtsgeschehen mittels einer Dauer-CTG zu überwachen. Bereits das erste CTG sei als pathologisch zu bewerten gewesen und habe für eine Sectio gesprochen. Ab dem zweiten pathologischen CTG hätten die Ärzte für eine ständige ärztliche Präsenz mit einer halbstündigen Kontrolle Sorge tragen müssen. Dann wäre die Indikation für die Sectio früher gestellt worden. Zudem sei die dann später vorgenommene Sectio nicht als Not-Sectio ausgeführt worden, was wegen der bereits vorliegenden pathologischen CTG-Befunde aber geboten gewesen sei. Die Behandlungsfehler seien als grob zu bewerten, so dass die Beklagten in vollem Umfang für den Geburtsschaden zu haften hätten. Dem Kläger komme insoweit eine Beweislastumkehr zugute.

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes seien insbesondere die gravierenden gesundheitlichen Nachteile zu berücksichtigen, die der Kläger erlitten habe. Der Kläger werde dauerhaft unter dem Geburtsschaden leiden und in seiner Entwicklung allenfalls die Stufe eines sieben- bis achtjährigen Kindes erreichen, nie allein leben können und später voraussichtlich auch feststellen, dass er gegenüber anderen Menschen ein geistiges Defizit habe, was nach Einschätzung des Sachverständigen zu einem besonderen Leidensdruck führe.

Matthias Kümpel
Rechtsanwalt

Der beklagte Arzt wurde aufgrund eines Diagnosefehler verurteilt ein Schmerzensgeld in Höhe von € 35.000,00 sowie weiteren materiellen Schadenersatz von  10.559,54 Euro zu zahlen.Bei der Klägerin traten erkältungsähnliche Symptome sowie Fieber und schwerer Durchfall auf, woraufhin sie den Verdacht einer Malariaerkrankung schöpfte und den Beklagten konsultierte.Nach körperlicher Untersuchung der Klägerin diagnostizierte dieser einen gastrointestinalen Infekt, […]