Erläuterung und Kommentar: Rechtsanwalt Matthias Kümpel

Die neuen Fallzahlen zu Arzthaftung und Behandlungsfehlern für das Jahr 2018 wurden durch die Bundesärztekammer vorgestellt.

Geringer Rückgang der Fälle

Im Vergleich zum Vorjahr ist ein geringer Rückgang zu verzeichnen, was die Anzahl der gestellten Anträge 10.839 (Vorjahr 2017: 11.100)  – 2,35 %, der Anzahl der erledigten Anträge 9.901 (Vorjahr 2017: 11.449) – 13,52 % sowie die Anzahl aller Sachentscheidungen (z. B. gutachterliche Bescheide) 5.972 (Vorjahr 2017: 7.307) – 18,27 % betrifft. Woraus diese leichte Veränderung resultiert, lässt sich nicht genau sagen.

Es ist aber nach dem Eindruck des Verfassers auch so, dass ohnehin nur eine geringe Anzahl der Fälle tatsächlich zu einem Schlichtungsverfahren gelangt und eine hohe Dunkelziffer an medizinischen Behandlungsfehlern anzunehmen ist, die niemals bei den Schlichtungsstellen noch bei den Krankenkassen oder Gerichten auftauchen.

Informationsdefizit der Patienten als medizinischen Laien

Die Patienten wissen als medizinische Laien, trotz einer wegen des Internets deutlich besseren Informationslage, häufig schlicht zu wenig über Indikationsstellung, Befunderhebung, Diagnostik, Aufklärung und (operative) Behandlung sowie Nachsorge.  Der hierbei jeweils zu beachtenden Facharztstandard ist dem Patienten oft unbekannt und unverständlich, so dass Fehler unerkannt bleiben und vom Patienten als schicksalhaft und krankheitsbedingt betrachtet werden, obwohl vielleicht tatsächlich bei genauerer medizinischer und medizinrechtlicher Überprüfung ein relevanter Fehler passiert ist.

Diese strukturelle Unterlegenheit der Patienten- gegenüber der Ärzteseite gilt es so weit als möglich anzugleichen. Das Patientenrechtegesetz welches bereits im Februar 2013 in Kraft trat, hat die bestehende Rechtsprechung in Gesetzesform gebracht, aber hat darüber hinaus nicht viel am grundsätzlichen System des Arzthaftungsrechts insbesondere im Hinblick auf die komplizierten Fragen der Beweislast und der häufig schwammigen Differenzierung zwischen „einfachem und groben Behandlungsfehlers“ geändert. Wünschenswert wäre auch der erleichterte Zugang zu qualifiziertem medizinischen Sachverstand und Gutachtern, welcher dem Patienten, aus wirtschaftlichen Gründen oftmals verbaut ist.

Dokumentation und Informationspflichten

Bedeutsam sind Informationspflichten und eine sichere und möglichst irreversible und manipulationsfreie EDV-gestützte Dokumentation aller ärztlichen Schritte am Patienten besonders auch im ambulanten Bereich. Hierdurch schafft man Transparenz, wodurch das Vertrauen in die Ärzteschaft und die Kliniken gestärkt würde.  Manches ist hier schon gesetzlich geregelt oder auf den Weg gebracht.

Doch wie soll der Arzt den Anforderungen der umfassenden Dokumentation nachkommen, wenn neben den Behandlungsabläufen kaum Zeit für ein vertiefendes Gespräch mit den häufig multimorbiden Patienten mehr bleibt. Die im Medizinsektor tätigen Ärzte und Chefärzte sollen Umsatz für die Kliniken generieren und werden vom Management betriebswirtschaftlich danach beurteilt und bewertet, ob dies ausreichend gelingt.

Wünschenswert: Förderung der sprechenden Medizin

Die gute und auch menschlich einfühlsame Arbeit des Arztes aber auch des Pflegepersonals, im Sinne der „sprechenden Medizin“ am Patienten, ist im stationären Bereich außerordentlich wichtig, bringt aber im gegenwärtigen System der Fallpauschalen ökonomisch kaum mehr Umsatz für die Kliniken. Folglich geschieht, wenn überhaupt etwas, nur das Nötigste und man beschränkt sich nur noch auf die praktische Durchführung der Behandlung.

Vorrang wirtschaftlicher Ziele vor dem Wohl der Patienten

Die Privatisierung staatlicher Kliniken ist politisch betrachtet, ein alsbald zu revidierender Irrweg. Kliniken und die tätigen Leistungserbringer haben die Kernaufgabe für die Gesundheit der Bürger zu sorgen und wesentlich das Wohl der Patienten und nicht Umsatz und Gewinn im Auge zu haben.Die ökonomische Seite der Medaille ist sicher wichtig und relevant, aber im Hinblick auf des eigentliche Primärziel die Patienten angemessen nach Facharztstandard zu behandeln und zu heilen, eben erst in zweiter Linie.

Gegenwärtig ist die Situation meiner Meinung nach umgekehrt. Politisch gewollte, ökonomische Vorgaben haben das Gesundheitswesen fest im Würgegriff. Hier darf sich der Staat im Bereich der Daseinsvorsorge nicht weiter zurückziehen und durch immer mehr Privatisierung bzw. durch Schließung von „unwirtschaftlichen“ Kliniken die Medizin in diesem Land immer mehr dem freien Spiel des Marktes überlassen. Dies hätte fatale Folgen für uns alle.

Letztlich ist als wesentliche Ursache für Fehler und Missstände im stationären medizinischen Bereich der massive wirtschaftliche Druck der auf das Gesundheitssystem einwirkt zu benennen. Dieser führt zur systematischen und letztlich politisch gewollten Überlastung des Kliniksektors und der dort ärztlich und pflegerisch tätigen Menschen.

Doch nun kommen wir wieder zu den Zahlen der Statistik:

Die 10 häufigsten Diagnosen im Rahmen von ärztlichen Behandlungsfehlern oder Risikoaufklärungsmängeln mit denen die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im Jahr 2018 befasst waren lauten:

Degenerative Gelenkerkrankungen des Kniegelenks (Gonarthrose), Arthrose des Hüftgelenks (Koxarthrose), Oberschenkelbruch (Femurfraktur), Schaden der Bandscheibe, Lendenwirbelsäule Unterschenkel- u. Sprunggelenksbruch, Knie (degenerativ) Unterarmbruch, Schleimbeutelentzündung der Schulter (Bursitis), Knie Binnenschaden (traumatisch), Schulter- und Oberarmbruch.

Die Vorwürfe der Patienten betrafen wesentlich die Durchführung der operativen Therapie, die Diagnostik bei bildgebenden Verfahren (Röntgen, MRT, CT u.a.), Anamnese/ Untersuchung, Indikation, Aufklärung über das Risiko, Maßnahmen der postoperativen Therapie, Behandlung durch Arzneimittel, Labordiagnostik/ Zusatzuntersuchungen, konservative Therapie und Infektion.

Der Bereich der Behandlung in Krankenhäusern und Kliniken ist wie immer deutlich fehleranfälliger mit 5.259 Fällen (75,91%) im Vergleich zu den niedergelassenen Ärzten mit 1.669 Fällen (24,09%), bei einer Gesamtzahl der Antragsgegner bei Sachentscheidungen von 6.928.

Insgesamt waren die Schlichtungsstellen mit 5.972 Sachentscheidungen betraut, bei 4.114 (68,88 %) der Fälle wurde ein Behandlungsfehler / Risikoaufklärungsmangel bereits dem Grunde nach verneint.

In nur 41 Fällen (0,687%) wurde ausschließlich ein Risikoaufklärungsmangel bejaht.  In 1.817 Fällen (30,43 %) wurde ein Behandlungsfehler bejaht. In 359 Fällen (6,01%) wurde ein Behandlungsfehler oder ein Risikoaufklärungsmangel bejaht aber letztlich die Kausalität (Ursächlichkeit des Fehlers für den Gesundheitsschaden) von den Gutachter- und Schlichtungsstellen verneint.

Nur bei ca. 25% der Fälle Arzthaftung dem Grunde nach bejaht

Schließlich sind lediglich 1.499 Fälle zu verzeichnen gewesen, was einer Quote von 25,10 % aller Fälle entspricht, bei denen die Gutachter- und Schlichtungsstellen einen Behandlungsfehler oder  Risikoaufklärungsmangel und die Ursächlichkeit des Fehlers für den Gesundheitsschaden (Kausalität) bejaht haben.

Also bei lediglich bei etwa ¼ aller bundesweiten Sachentscheidungen der Schlichtungsstellen ist ein Anspruch des Patienten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld dem Grunde nach bejaht worden. Die Anzahl der Sachverhalte, bei denen tatsächlich Zahlungen geleistet wurden, dürfte noch geringer sein, da ein für den Patienten positives Schlichtungsgutachten nicht notwendig bedeutet, dass Klinik oder Arzt bzw. die Haftpflichtversicherung auch Schmerzensgeld oder Schadenersatz zahlen muss.

Oftmals wird jedoch die Bereitschaft bestehen, einen Vergleich zu schließen, wobei es dann auf gute und professionelle Verhandlungsführung auf Patientenseite ankommt, um unter Berücksichtigung aller Schadenspositionen (Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Mehraufwendungen, Rentenzahlung, Haushaltsführungsschaden, etc) ein möglichst gutes finanzielles Ergebnis zu erreichen.

In manchen Fällen ist also trotz positivem Schlichtungsgutachten noch ein Zivilprozess vor den ordentlichen Gerichten durchzuführen, wenn die Behandlerseite, meist der Haftpflichtversicherer von Klinik oder Arzt das Gutachten nicht akzeptiert oder die konkrete Höhe der Ansprüche in Euro noch streitig ist.

Man kann es also trotzdem darauf ankommen lassen und abwarten ob der geschädigte Patient tatsächlich willens und in der Lage ist, einen Zivilprozess zu führen. Wenn der Patient dann keine Klage erhebt, geht er in diesen Fällen trotz positivem Schiedsgutachten leer aus.

Lohnt es sich für den Patienten im konkreten Fall einen Antrag zu stellen?

Ob es im Einzelfall lohnenswert erscheint, die Gutachter- und Schlichtungsstellen mit dem eigenen Fall zu betrauen, muss angesichts der doch sehr geringen Erfolgsquoten sehr genau abgewogen und geprüft werden. Die Gutachterverfahren der Schlichtungsstellen sind bei Einverständnis der Gegenseite zwar kostenlos für den Patienten durchführbar, aber leider sind diese auch auch in ca. 75 % der Fälle erfolglos. Existiert erst einmal ein für den Patienten negatives Schlichtungsgutachten, ist ein gerichtliches Vorgehen gegen die Klinik oder den Arzt im Wege des Zivilprozesses weiterhin möglich, aber durchaus erschwert.

Im Zweifel Beratung in Anspruch nehmen

Diese Frage lässt sich nur individuell beantworten. Bevor man als Patient einen Antrag bei einer der Gutachter- und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern stellt, empfehlen wir daher unbedingt eine persönliche Beratung durch einen im Medizin- und Arzthaftungsrecht spezialisierten und erfahrenen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen, auch im Hinblick auf gegebenenfalls bessere Alternativen.

In Fällen des Arzthaftungsrechts ist es von besonderem Vorteil, wenn eine Rechtschutzversicherung abgeschlossen wurde. Diese trägt oftmals die Kosten der Vertretung sowie sämtliche im Prozessfall entstehende Gerichts- und Gutachterkosten für gerichtlich bestellte Sachverständige.

Quelle: Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2018, veröffentlicht am 04.04.2019

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Die Wirkstoffe Valsartan, Irbesartan und Losartan werden zur Behandlung von erhöhtem Blutdruck (Hypertonie) und Herzschwäche (Herzinsuffizienz) angewendet. Sie gehört zur Klasse der Sartane, die auch AT1-Rezeptor-Antagonisten genannt werden. Im Juli und August 2018 kam zu einem Rückruf des Wirkstoffs Valsartan (Hersteller: Zhejiang Tianyu Pharmaceutical Co., Ltd.) unter anderem durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM. Die Entscheidung über den europaweiten Rückruf sämtlicher Valsartan-Präparate erfolgte am 03.07.2018, der Rückruf selbst begann am 04.07.2018. Auch hinsichtlich der Wirkstoffe Irbesartan (Wirkstoffhersteller Aurobindo Pharma Limited) und Losartan, welche ebenfalls zur Behandlung von Bluthochdruck und bei Herzinsuffizienz verordnet werden, erfolgten Rückrufe.

Warum erfolgten die Rückrufe und welches Risiko besteht?

Bei den zurückgerufenen Präparaten lagen Verunreinigungen mit potentiell für den Menschen krebserregenden Nitrosaminen N-Nitrosodimethylamin (NDMA) und N-Nitrosodiethylamin (NDEA)vor. Diese in den Sartanen als Verunreinigung enthaltenen Nitrosamine sind als wahrscheinliche menschliche Karzinogene (Substanzen, die Krebs verursachen könnten) einzustufen sind. Zahlreiche N-Nitrosamine sind laut BfR besonders potente Kanzerogene, für die keine sichere toxikologische Wirkungsschwelle angenommen werden könne. Bereits kleinste Mengen könnten krebsauslösend wirken. Die induzierten DNA-Schädigungen stiegen linear mit der Dosis an. Aufgrund der fehlenden Wirkungsschwelle verweist das BfR in einer Risikobewertung darauf dass grundsätzlich für genotoxische Kanzerogene die Exposition soweit wie möglich zu minimieren und das ALARA-Prinzip („As low As Reasonably Achievable“= „so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar“) anzuwenden sei.

Die Toxizität und Kanzerogenität von N-Nitrosaminen ist laut Bundesamt für Risikobewertung (BfR) in zahlreichen Monografien „umfassend“ dokumentiert. N-Nitrosamine haben in praktisch allen untersuchten Spezies sowohl nach oraler als auch nach inhalativer Aufnahme Tumore induziert (nachgewiesen in über 40 Tierspezies). Daher sei anzunehmen, dass sie auch beim Menschen krebsauslösend wirken (WHO, 2002), so das BfR.
Die kanzerogene Potenz der verschiedenen N-Nitrosamine variiere dabei sehr stark, wobei NDMA zu den potentesten gehört. Insgesamt lassen sich die Risiken durch die Einnahme der Medikamente und zur Zeit aber noch nicht vollständig Abschätzen.

Welche Ansprüche haben Betroffene Patienten?

Betroffene die über einen längeren Zeitraum die bezeichneten Medikamente eingenommen haben und bei denen eine Krebserkrankung aufgetreten ist, besitzen unter Umständen durchsetzbare Ansprüche auf Schadenersatz- und Schmerzensgeld gegen die Hersteller der Medikamente. Die wichtigste gesetzliche Anspruchsgrundlage ist die Regelung in § 84 Arzneimittelgesetz (AMG), daneben kommen Ansprüche aus der Produzentenhaftung (§ 823 BGB) sowie dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in Betracht.

Auskunftsanspruch

Zunächst besteht gegen den Hersteller aber auch gegen Behörden (z.B. das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte = BfArM) ein Auskunftsanspruch des Geschädigten gem. § 84 a AMG zu bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Arzneimittels von Bedeutung sein können. Der Anspruch auf Auskunft dient der Vorbereitung des Haftungsanspruchs, da die genannten Daten dem Betroffenen Patienten meist nicht bekannt sind.

Haftungsanspruch

Der Anspruch auf Schadenersatz nach § 84 Abs. 1 AMG erfordert nicht das der Hersteller schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) gehandelt hat. Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist (§ 84 Abs. 2 AMG).

Der Geschädigte muss also nicht mühsam durch Gutachten beweisen, dass der Schaden auf der Arzneimittelwirkung beruht. Die Vermutung gilt jedoch nicht, wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Darlegungs- und beweisbelastet für einen anderen Umstand im Einzelfall ist der Hersteller des Arzneimittels. Er muss die anderen Umstände (nicht auf dem Arzneimittel und dessen Wirkung beruhende Umstände) welche den Schaden verursacht haben sollen im Einzelfall benennen und beweisen.

Für eine rechtliche Bewertung der Erfolgsaussichten beraten wir Sie gern bundesweit. Auch setzen wir Ihre Ansprüche gegen die Hersteller durch. Hilfreich ist hierzu eine Rechtschutzversicherung, welche meist die Kosten übernimmt.

Bitte rufen Sie uns an oder senden uns eine Nachricht. Wir melden uns zeitnah bei Ihnen.

Rechtsanwalt Matthias Kümpel, Erthalstraße 17, 63739 Aschaffenburg
Tel. 06021/4229290, E-Mail: kanzlei@recht-ab.de Website: www.recht-ab.de